„Koksi raus da! Das ist keine Hängematte sondern mein neuer Webstuhl und ich erwarte etwas Respekt!“
„Von wem?“, fragte der kleine Eisbär verträumt und pulte sich etwas aus den Zähnen, während er in den Kettfäden noch mal richtig Schwung holte. Bruno riss an einem der Fäden, bis Koksi durch die Fäden auf den Boden plumpste. Im Nu war er über den Rahmen wieder in der Takelage und hangelte sich zu Bruno vor.
„Koski, du bist kein Bär sondern ein Affe. Ich bin mir da immer sicherer.“
Eine kleine weiße Faust schob sich in Zeitlupe vor Brunos Nase – und zaghaft, vorsichtig und behutsam wagte sich eine Mittelkralle hervor, streckte und rekelte sich, um in ihrer Vollendung eine sehr, sehr böse Geste auszudrücken.

„Lass das besser nicht Sybille sehen“, knurrte Bruno. „Wo ist sie überhaupt?“, setzte er nach.
Koksi hauchte auf seine glänzenden schwarzen Krallen: „… och.“
Bruno stemmte die Tatzen in die Hüften. „Kleiner Eisbär, was hast du angestellt?“
„Pscht!“, machte Koksi, und er flüsterte in Brunos Ohr: „Vielleicht findet sie es doch nicht so toll, aber schwarz-weiß war so langweilig, da habe ich die Zeichnungen mit Buntstift… -„
Bruno riss die Augen auf: „Nicht die Originale!“
Koksi senkte das Köpfchen. „Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat, vielleicht kann man mit einem Radierer ja was retten, was meinst du?“
Ein gellender Schrei aus dem Büro ließ vermuten, dass Sybille keinen Gefallen an Koksis Gekrickel gefunden hatte.
„Au weia. Das gibt Schimpfe.“
„Koksi, lass uns hier schnell voran kommen, dann übergießt sie dich vielleicht nur mit siedendem Öl und verzichtet aufs Vierteilen.“
Koksi stellte sich in Position: „Leinen los! Ab in die Wanten, ihr Süßwasserpiraten!“ Er meinte es ziemlich ernst.
Emsig spannten sie die Kettfäden neu, balancierten den Warenbaum aus, schnitten die Zierkette zurecht und schoben einen Rollwagen dorthin, wo er das Knäuel mit Kammzug parat halten konnte.
„Warum heißt es Zierkette, Bruno?“, fragte Koksi.
„Weil es einmal die Kettfäden gibt, und dann gibt es die Zier-Kettfäden. Und die heißen in ihrer Gesamtheit Zierkette. Wir können die Kettfäden versetzen oder überkreuzen, und wir können auch die Zierkette versetzen und überkreuzen. Heute machen wir einen einfachen Stern, aber nur vorderseitig (auf der Vorderseite), und die Kettfäden bleiben wo sie sind, aber die Zierkette wird sukzessive vorgebunden, hochgewebt, synchron überkreuz gewebt und dann nach hinten weggebunden.“
Koksi bemühte sich nicht zu schielen und hielt sich den Schädel. „Das war jetzt etwas … kompliziert. Aua, mein Gehirn.“
„Es ist einfacher, zunächst zuzuschauen.“
Koksi nickte und schaute zu.

Bruno legte den Boden gleich mit Kammzug (oder Roving) in die helle Leinenkette, und band sofort einen Zierkettfaden in rot ein. Nach einigen Lagen Kammzug, die er mit demselben Garn aus hellem Leinen stabilsierte, band er Dochtwolle in blau und orange mit ein. Nach einer Lage überkreuzte er gelb und blau über das rot, band nach zwei weiteren Lagen nach hinten, ebenso wie das rot nach einer zusätzlichen Lage.

„Waaaarum sagst du vorderseitig?“ Bruno hielt inne. Er hangelte sich an der Rückseite des V-Loom herunter und bedeutete Koksi, es ihm gleichzutun.
„Hier schau mal. Du kannst vorne ein Muster bilden, und du kannst hinten ein ganz anderes Muster bilden. Da, wo dir der V-Loom entgegenkommt, ist vorn.“
„Hm. Ok.“ Der kleine weiße Bär kratzte sich am Kinn.
„Aber Dochtwolle ist doch eigentlich viel zu lose, um als Kettfaden eingesetzt zu werden, oder?“ Bruno nickte: „Deswegen ist die Dochtwolle die Zierkette. Die Kette aus Leinen hält sie fest. Wenn du möchtest, kannst du die Dochtwolle nachher noch einfilzen, aber ich finde es auch so ganz hübsch.“

„Du kannst sticken und weben gleichzeitig.“ Koksi schaute sich die Angelegenheit nochmals an und rüsselte sich durch die Lagen. „Hammer. Und: Es sieht aus wie Softeis mit Blaubeer-, Mango- und Erdbeersoße“, schwärmte Koksi.
„Ja, aber man kann es später anziehen, und das geht mit Softeis nicht“, entgegnete Bruno und freute sich.
Koksi freute sich noch nicht so ganz. Er ließ die Schultern hängen. „Deswegen hat Sybille dafür das Patatent angemeldet und sich so aufgeregt, weil ich die Zeichnungen angemalt hab?“
Bruno hustete verlegen in seine Pfote. „Nun, es könnte nicht schaden, sich zumindest zu entschuldigen.“
Koksi schniefte hoch. „Darf ich den Stern haben?“
Bruno knotete das Webstück ab. „Ich vermute, sie wollte die Zeichnungen nur ausdrucken und jemandem mitbringen. In Echt hat sie ihre Dokumente sauber im Computer.“
Koksi senkte die Stimme: „Und stimmt das, wenn das Patatent angemeldet ist, dann darf sie Leute, die den V-Loom ohne um Erlaubnis zu fragen, einfach nachbauen, mit heißem Öl übergießen und Vierteilen?“
Bruno atmete tief durch den Brustkorb.
„Schlimmer.“
„Nein!?“
„Doch. Sie hat Anwälte.“
„Nein!!“ Koksi schnappte sich den Stern und sauste zu Sybille ins Büro um sich wieder gut zu stellen.