„Was schreit sie da oben so rum? Ich brauche Ruhe zum Arbeiten“, klagte Bruno. Ihm riss bald der Geduldsfaden, hier im Webstuhl. Wieder und wieder zupfte er mit der Kralle, mal hier, mal da an einem gespannten Kettfaden, um die Spannung auf den richtigen Klang hin zu testen, wie bei einer Gitarrensaite.
Wolle-Weben-Spinnen_Aug - 3„C-moll. Sie sucht Druckertinte.“ Koksi setzte sich neben ihn auf die Fäden und schwang munter hin und her: „Wir  lagen vor Madagaskar, und – “ Bruno plumpste an ihm vorbei und konnte sich just mit einer Kralle festhalten.
„Spinnst du?“, schnauzte er Koksi an, hangelte sich wieder in die obere Etage und bemühte sich, den Schaden einzuschätzen.
Die Takelage war im Eimer. Er konnte wieder von vorn beginnen. Mit einem grimmigen Lächeln aus messerscharfe Zähnchen, die nicht zu Widerspruch einluden, kletterte er Koksi entgegen. Der ließ sich fallen und stob in Richtung Küche davon, gellte: „Mann über Bord!“, und bekam eben noch die Kurve in die Küche, hechtete die Schubladen-Leiter empor und starrte, oben auf der Arbeitsplatte angekommen, direkt in die Spitze eines riesigen Messers.
„Waaaaaa…“, sagte der kleine Bär leise. An der Klinge entlang spähend, entdeckte er ganz hinten am Griff die knubbelige Koala-Nase von Vera. Sie stutzte, schwang das Messer herum und brachte es aus dem Gefahrenbereich. „Möchtest du etwas Bestimmtes, Koksi? Lernen, wie man Tinte herstellt, zum Beispiel?“
Koksi löste sich aus seiner Erstarrung und wagte einen Blick in die nähere Umgebung. Wollfieber - 2„Was ist das für… Zeug?“, fragte er und wandte sich einem der bröseligen braunen Bälle zu, die vor ihm lagen.
„Schwamm-Galläpfel“, antwortete Vera präzise, als würde diese Antwort irgendetwas erklären.
Koksi trat näher an das Dingen und bohrte vorwitzig eine Kralle hinein, brach ein Stück heraus und betrachtete es skeptisch. „Holzkäse? Was sollen die Löcher da drin?“ Vera nahm ihm den Brocken ab und warf ihn zu den anderen. Dann nahm sie Koksi an die Pfote und führte ihn zu ihrer Materialkammer: „Schau, hier sind noch viel mehr. Ich habe einen Vorrat für Jahre angelegt. Galläpfel wachsen an Bäumen, wenn die Gallwespe ihren Nachwuchs dort ablegt. Der Baum wehrt sich, und scheidet ein Sekret aus, in dem fast alles Gute ist, was man benötigt, um Gallus-Tinte herzustellen.“
„Donnerwetter“, sagte Koksi, „und dann kann Sybille damit drucken?“ Vera schüttelte den Kopf. „Nein, diese Tinte wird bislang nur mit einer Schreibfeder verwendet. Schon seit Wolle-Weben-Spinnen_Aug - 6Jahrhunderten, als es noch keine Kugelschreiber gab. Und so haben wir keinen Bedarf mehr an den ganzen Plastik-Kulis, die hier überall rumliegen – und es gibt dafür auch keine Plastikpatronen wie für Füller.“
Koksi neigte den Kopf zur Seite. „Aber, ähm, das ist eine ziemliche Sauerei, und man muss überall ein Tintenfass haben, und dann ist Sybille wieder sauer, weil die ganze Plörre auf den Teppich gelaufen ist, und man kann ja auch schlecht ein Tintenfass in die Handtasche stecken, und die Feder kuckt auch dauernd raus.“
„Tja, Koksi, irgendwie hat man das ja früher auch geschafft. Mozart, Eschenbach, da Vincis sie schrieben alle damit.“
„Oder mein altes Vorlagenbuch für Stickerei?“
„Ja, Koksi. Immer noch tadellos, seit 1795.“
Koksi atmete durch. „Sag bitte, wenn die Tinte gekocht wird – ich muss mal zu Bruno, der war sauer auf mich.“
Vera gab ihm einen freundschaftlichen Klaps. Konnte nie schaden.
„Nur zu.“

„Bruno, bist du mir wieder gut?“, rief Koksi am Tisch empor. Etwas fasste ihn am Schienbein und er sauste vor Schreck in die Höhe.
„Hier, im blauen Körbchen“, sagte Bruno, nachdem Koksi sich wieder gerappelt hatte. Koksi hob eine Flocke weißer Texel-Wolle hoch, unter der sich sein Freund verborgen hielt.
„Du siehst aus wie in der Wanne im Schaumbad. Bist du mir noch böse?“
Bruno schüttelte den Kopf: „Nein, aber es wäre hilfreich, wenn du mit Vera ein paar Kammzüge machen könntest. Dann kann ich wieder aufs Spinnrad in der Zeit.“ Er kraxelte heraus und stemmte den Laufriemen vom großen Schwungrad. Schnell eine neue Spule aufgezogen – den Riemen neu gespannt, und … : „Mist. Wer hat meine Fliegenklatsche geklaut? Wie soll ich denn jetzt laufen und spinnen gleichzeitig?“
Koksi schob den Korb in die Küche. Vera nutzte die Gelegenheit und ließ sich einfach von der Arbeitsplatte direkt in die Wolle plumpsen. Dann strichen sie die weichen Flocken auf den Kamm und zogen und zogen und zogen.

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Eine Stunde lang saß Bruno grummelnd auf der Spule, bis Koksi und Vera den dichten, fluffigen Strang herantrugen.
„Ich helf dir. Wer geht nach oben?“, fragte Koksi.
Bruno war wirklich froh. Das machte den Ärger mit der versauten Kette wieder gut. Er knuffte den Eisbären in die Seite und knarzte: „Ab mit dir in den Ausguck, du Süßwassermatrose, alle Mann hossa und ahoi!“

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Und eine weitere Stunde später dann…

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